‚Lichtspiel‘ von Daniel Kehlmann

Was nützen das schöne Wetter und die freundlichen Menschen ringsum den Pool auf dieser langweiligen Gartenparty, wenn man doch einfach zu warm angezogen ist, nichts versteht von alledem, dem Film und Branche im amerikanischen Exil. Alle sagen sie dir, Metropolis, great, so great. Was wissen sie von meiner Arbeit. Nichts, keiner weiß irgendwas. Zuhause im Reich wären Sie gefeiert, Herr Pabst, flüstert die freundliche Stimme Kuno Krämers. Sie könnten drehen, was sie wollen, ohne Einschränkungen, mein Herr – Krämer ist sich sicher.

Pabst nicht, noch nicht. Zurück nach Europa? Wieso auch nicht? Einen Vorwurf daraus stricken? Wer sollte das tun? Trude? Wegen eines Drehs fahren wir nach Frankreich und später, der Mutter wegen, kurz, sehr kurz nur, nach Österreich, in die Ostmark, Pardon. Der Mutter ein Sanatorium suchen in Wien und mit gepackten Koffern und den Visa in der Tasche im nächsten Zug zurück. So trifft die Familie Pabst ein am alten Landsitz in Österreich. Und das Kalenderblatt zeigt den Vorabend des 1. September 1939.

„Als wir nach Österreich gekommen sind, ins Schloss, zu deiner Mutter, bevor du von der Leiter gefallen bist […] Bevor das passiert ist, wolltest du wirklich zurück nach Hollywood? Zu den Produzenten, die nicht wissen, wer Pabst ist? […] Wolltest du das?“ (S. 304)

Trude Pabst stellt ihrem Mann Georg Wilhelm die Kardinalfrage auf einem Spaziergang durch den Grunewald, als der letzte Vorhang gerade gehängt wird und Bomben längst fallen. Dem gefeierten Regisseur, dem roten Pabst, der nach `33 immigrierte und zurückkam. Der seinen Gang nach Canossa antrat und seinen Arm brav hob vor dem Minister. Bravo, Pabst! Doch nach der kürzlichen Premiere vom gefeierten Meisterwerk Paracelsus hat sich das Leben der Familie längst zur entstellten Fratze einer einst hoffnungsvollen Zukunft verwandelt: Ihr Sohn Jakob träumt vom Dienst bei der Wehrmacht, Trude verbringt depressiv die Tage im Bett bei Wein und Düsternis, während Pabst die Not zur Tugend macht. Beim Film arbeitet man schließlich immer in einer Notlage. So viel zur inneren Handlung des aktuellen Romans ‚Lichtspiel‘ von Daniel Kehlmann.

Doch ‚Lichtspiel‘ ist viel mehr als die Biografie des gebrochenen G.W. Pabst. Kehlmann stellt die Figur seines ambivalenten Protagonisten ins Dilemma des Trilemmas: Jede Option ist ungünstig. Rechtfertigt das Wohl der Familie, bedingt durch persönlichen Erfolg, den Kompromiss mit dem Teufel? Bleiben die Kunst und das Werk der Kunstschaffenden solitär oder werden sie beschmutzt durch jenen Kompromiss und die eigene Korrumpierbarkeit? Wiegt das verhinderte Leid die schweigsame Duldung auf, die Tolerierung aller Mittelmäßigkeit mit absoluter Brutalität?

Daniel Kehlmann hat mit ‚Lichtspiel‘ einen Roman vorgelegt, der einerseits das cineastische Wirken und Werk des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst mit allen Wirrungen verhandelt und ungetrübt offenlegt. Andererseits rekonstruiert Kehlmann unglaublich klug den globalen wie privaten Kontext, errichtet den gesellschaftlichen Raum wachsender Unfreiheit und vermag die Tonalität sprachlich und erzählerisch so präzise wiederzugeben, dass federleichte Heiterkeit und welterdrückende Last Hand in Hand gehen. Inhaltlich überraschend dicht stirbt jeder doch für sich allein.

‚Lichtspiel‘ ist ein Roman, der zu jeder Zeit der richtige ist. Der einen mit Augenzwinkern und Witz durch tiefschwarze Nächte führt, dessen Seiten fliegen und bei aller Film- und Lebenskritik nicht urteilt und verurteilt. Gerade deshalb steht ‚Lichtblick‘ auf festem Grund der Menschlichkeit, schaut hin, holt aus, schlägt zu, tritt gelegentlich nach und am Ende? Am Ende steht die Kunst. Die Kunst, das eigene Leben und das Leben der Seinen bestmöglich und unbeschadet zu überstehen ohne beschämten Blick in den Spiegel.

„Eine Seele ist einfach ganz schön empfindlich. Ich könnte heute auch nicht mehr so … frei und leicht im Film spielen wie früher. Wegen der Dinge, die mir passiert sind. Das Leben verbiegt jeden, aber manche bricht es brutal früh.“ (S. 459)

  • Gelesen im Oktober 2023
  • Aufmerksam geworden durch das Interview mit Daniel Kehlmann in der Süddeutschen vom 10. Oktober 2023.

Hinterlasse einen Kommentar