Erschöpfung durch Sprachlosigkeit – sprachlos vor zermürbender Langeweile. Aber zurück zum Anfang. Vielen ist Fantômas als Bösewicht wohl bekannt. Ohne Mimik mit grauem Teint schleicht er durch das wohlig warme Südfrankreich. Anders im völlig vertrackten Ost-West-Geheimdienstsetting von René Pollesch. Wir befinden uns in einem unfertigen Gebäude. Einem Wohnhaus mit wenigen Wänden und Fenstern, die für gute Zugluft sorgen. Die US-Flagge hängt abgerissen vom Winde verweht herab und Martin Wuttke, seinerseits FBI-Agent bei der Spionageabwehr, beginnt über Fantômas zu schwadronieren. Irgendwas, so recht weiß das keine:r. Doch seine Browning stets griffbereit, sein Dienstausweis an der Hemdtasche gut sichtbar präsentiert.
Weshalb, so recht weiß das keine:r, tauchen Benny Claessens mit großem Rollkoffer und Kathrin Angerer im Gepäck plötzlich auf der Hinterbühne auf. Sie mögen doch bitte nicht ihre Profession verraten, rekapitulieren beide abwechselnd. Iwan Iwanowitsch vom KGB ist fest entschlossen. Fest entschlossen, ein viel besserer Staatsbürger als Amerikaner:innen zu werden. Und während die US-Flagge lose wehend herabhängt, laufen etliche Beteiligt kreuz und quer über diese große, imposante Bühne, die vollgepackt ist mit etlichem Kram, den niemand braucht oder vermisst. Mit einer mongolischen Jurte, dem besagten Haus ohne Wände und Videoproduktionsmenschen, deren Aufgabe es ist – so scheint es – mit Kameraleuchten das Publikum zu blenden.
Ach, René! Müssen es jährlich gefühlt 27 Produktionen sein, wenn in Ermangelung guter Ideen schlicht die Sprache versagt, die Bilder verrutschen, die Klamotte zum Nullum wird? Das, wofür wir deine Arbeiten so lieben, zum Negativ einer belanglosen Arbeitsprobe wird? Braucht es wirklich 60 Minuten, um einen porösen Konnex zum ohnehin vagen Inhalt deiner aktuellen Arbeit ‚Fantômas‘ aufzubauen? Und mit deinem Ensemble, das einen vollen Saal in der Volksbühne problemlos rauschhaft mitreißen kann, weißt du leider auch nichts anzufangen. Wieso degradierst du es zu rauchenden Hampelmenschen, die auf und ab rennen, Treppen hinaufsteigen, wieder herab und alles ohne Anlass, ohne Grund. Wo bleibt deine klare, präzise geschliffene Sprache? Deine Originalität in Text, Ausstattung und Dramaturgie? ‚Fantômas‘ ist eine Beleidigung des Publikums, deren Zeit du mit deiner 2:50 Stunden ohne Pause (sic!) dahinvegetierenden Arbeit malträtierst.
Freilich kann es das persönliche Ziel sein, einen Theatersaal leerzuspielen. Freilich kann Unterforderung zum Mittel der Wahl werden. Zugleich schien es, als wäre insbesondere das Ensemble völlig unausgelastet – im Gegensatz zur Souffleuse des Abends. Denn von ihr wurde Hochleistung gefordert. Immerhin eine Kontinuität an diesem Theaterabend, den ich nicht zuletzt nach der grotesk vermasselten Slapstick-Einlage Martin Wuttkes vorzeitig beenden musste. ‚Fantômas‘ ist eine traurige, vertane Chance. Selten war ich derart erschöpft vor Langeweile und wütend über diese Ideenlosigkeit.
- Gesehen am 22. Oktober 2023
- Und hier die Stimme der Nachtkritik, die ein völlig anderes Stück gesehen haben muss.
Eine Antwort auf „Achtung, Theater! – ‚Fantômas‘ an der Volksbühne“