‚Es ging immer nur um Liebe‘ von Musa Okwonga

Stell dir vor, du bist in dieser großen Stadt. Du bist sicher, dass das, was du machst, das Richtige ist. Du hast dich entschieden, über Dinge zu schreiben, die nicht gut laufen in der Welt. Dass du Journalist bist, ist deine Passion. Du deckst auf, prangerst an und gibst denen eine Stimme, die keine haben oder nur eine sehr leise. Du verschaffst ihnen Gehör in dieser großen Stadt und weit darüber hinaus. Und für dich selbst? Was tust du für dich ohne aktive Selbstfürsorge? Besinn dich auf dich – geht es dir gut?

Du pflegst Bekanntschaften. Mache entwickeln sich zu Freundschaften, guten sogar. Berlin kann einerseits hilfreich sein, aber andererseits? Die Kälte im Winter, man könnte meinen, die Schroffheit der winterlichen Großstadt verhärmt die Menschen. Doch der Sommer, der Sommer! Die breiten Straßen, grün gesäumt von Bäumen in diesem Zufluchtsort der vielen, die anders sind und fliehen aus der scheinbaren Ordnung, die zur Enge wurde und einem Gefängnis. Du weißt, als Person of Colour kann Berlin für dich ein bestärkender Ort sein, um du zu sein. Zu leben im Angesicht des Drumherums. Zu sehen, dass dieses Land, dieses Europa immer illiberaler, moralisierender, immer rechter wird. Berlin ist keine hermetische Blase abschlossen von der Welt. Das Gegenteil ist der Fall. Berlin ist der Seismograf. Luftig, offen, frei- und manchmal großzügig mit denen, die hierherkommen. Und trotz allem, wie geht es dir?

„Wozu eigentlich das alles, fragst du dich; und dann, weil du schon so weit in dieses Leben herausgerudert bist, dass es sich anfühlt, als hättest du keine andere Wahl, fängst du an zu tippen. Es ging, beginnst du, immer nur um Liebe.“ (S. 102)

Immer aufs Neue sind Romane eine fantastische Wunderkiste. Denn du weißt nie, was dich wirklich erwartet. Manchmal braucht es eine Weile, bis der Funke überspringt. Gelegentlich springt gar kein Funke über und noch seltener reißen dich die ersten Sätze sofort mit und ziehen dich fest in ihren Bann.

„Früher oder später wird Berlin dir einen Schlag in die Magengrube versetzen. Wenn das passiert, versuch bitte, es nicht persönlich zu nehmen – versuch stattdessen, es als einen Stempel in deinem Reisepass anzusehen, als Zeichen deiner Ankunft.“ (S. 9)

Musa Okwonga hat seine Beobachtungsstelle verlassen und sich auf gemacht, um all jenes, was er sieht, hört, sagt und fühlt auf 148 Seiten niederzuschreiben. Lasst mich deshalb bereits heute behaupten, ‚Es ging immer nur um Liebe‘ wird dieses Jahr meine persönliche Bestsellerliste anführen. Musa Okwonga, geboren in London und seit 2014 als britisch-ugandischer Schriftsteller in Berlin, schreibt mit Herz und Verstand, was die Menschen umtreibt bei ihren überhitzten Runden auf der Ringbahn. Sein namenloser Ich-Erzähler berichtet emphatisch und persönlich mit Dringlichkeit von der eigenen Entfremdung, Rassismus, Sex, Verbindlichkeit und ihrer Abwesenheit zwischen der Suche nach einem Zuhause, das mehr ist als Selbstbehauptung auf einem engen Datingmarkt – Pardon, Wohnungsmarkt.

Formal skizziert der Roman drei wesentliche inhaltliche Themenkomplexe: „Rechtschaffende Migrant*innen“ (Willkommen unter dem sauerstoffarmen Napfkuchen Berlin), „Schwarze Schwerkraft“ (Lerne dich selbst zu lieben) und „Dein Reisepass“ (Die Flucht deiner Eltern sollte nicht deine eigene sein). Formal für sich stehend bindet der Autor sie stringent zu einem Ganzen zusammen, zu einer Reise des Protagonisten zu sich selbst. Ob all seine Fragen und all die individuellen Fragen aller Newbees in Berlin beantwortet werden, müsst ihr selbst herausfinden. Danke für diesen wunderbaren Text, verbunden mit einer Erinnerung an ‚Ruth.Moabit‘ von Anna Opel.

  • Gelesen im Juli 2023
  • Ganz herzlichen Dank für dein Geburtstagsgeschenk, lieber Patrick!

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