Achtung,Theater! – ‚Schwarzwasser‘ am Berliner Ensemble

Herzlich willkommen im Aufbauseminar „Politische Theorie“. Heute auf dem Studienplan Carl Schmitt und der Dezisionismus gespielt von der Schauspielgruppe des Berliner Ensembles. Wie war das gleich? Entscheiden der reinen Entscheidung wegen? Recht schaffen ohne Recht zu haben? Durch die reine Dezision offenbart sich der vermeintliche Führer, der teleologisch quasi transzendent durch die Bedingungslosigkeit seiner Entscheidung eine neue Ordnung schafft? Und dann kommt dieser Heinz-Christian Strache in seiner Vermessenheit daher gelaufen und will – ob intendiert oder aus bloßer Selbstüberschätzung – Carl Schmitt als theoretische Blaupause für seine Spielereien kopieren. Mit dieser Zeitung und natürlich im Rahmen der Gesetze. Alles im Rahmen der Gesetze, verstehen Sie? Elfriede Jelinek hat den Fall Strache und das sogenannte Ibiza-Video zum Anlass genommen, um auf das große Ganze zu blicken im kleinen Österreich. Diese Unruhestifterin und Sprachvirtuosin, diese.

„Je friedfertiger und vernünftiger dieser Gott auftritt, desto mehr treibt er uns hinein, wir wollen ja nicht, aber wir müssen. Er treibt uns der Gewalt in die Arme, damit er dann selbst als Vernunft und Friede auftreten kann. Damit er uns ordnen kann, aber dieses Ordnen ist im Gegenteil das Verwischen aller Unterschiede.“ (Zitiert nach der Stückbeschreibung auf der BE-Website)

Die Krisen unserer Zeit, der permanente Ausnahmezustand frei nach Giorgio Agamben, Ökofeminismus, Klimakatastrophe und alles im Rahmen der Gesetze. ‚Schwarzwasser‘ von Elfriede Jelinek in der Theateradaption des Berliner Ensembles sind zwei Stunden Theaterrafting aus Textsuaden. Schnelle Dialoge und Spielexzesse über 15 Minuten begegnen sich im Schlagabtausch, bei dem manches sitzt und einiges ins Leere schlägt. Christina Tscharyiski schafft Jelineks unheimlich voraussetzungsreiche Vorlage nur in Teilen für die Bühne zu fassen. Durch ihren Verzicht auf hilfreiche Hinweise verschließt sie Personen, die möglicherweise Carl Schmitt nicht in Gänze durchdrungen haben oder denen die Politik Österreichs nicht en détail geläufig ist, wichtige Kontextinformationen zum grundlegenden Erschließen ihrer Arbeit. Zwar werden Ort und Zeit binnen weniger Minuten durch Bühnenbild, Video und Kostüm kontextualisiert. Allein das Ibiza-Video als Einspieler und die rot-weiß-rote Schärpen erklären jedoch nicht den theoretischen Überbau in Elfride Jelineks Text.

‚Schwarzwasser‘ besticht mit einem großartigen Frauenquartett und insbesondere Stefanie Reinsprenger, die monologisierend als Messias mit Leidenschaft und Überzeugungskraft die Dilemmata der Zeit, aber auch des Stücks offenlegt. Auch wenn dramaturgisch versucht wird, Ordnung herzustellen, bleibt unklar, was die Arbeit will. Konvolute an Bezugspunkten, Spinnennetze aus Informationsphrasen und nicht zuletzt eine Fledermaus auf fahrender Drehbühne sind zwar lustig und meistens klug, ohne Stringenz jedoch doppelt verstörend. Auch das erfreulich gewitzte Spiel mit Bühne und Requisiten schafft diese Ordnung nicht – gewollt? Was bleibt, ist Ambivalenz: Zum Text, zum Stück, zu Österreich und dem Entgegentreten des europäischen Rechtspopulismus. Aber alles im Rahmen der Gesetze.

  • Gesehen am 9. Juli 2023
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

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