Sport macht müde Menschen munter. Das ist keine Binsenweisheit, sondern Fakt! Fakt ist auch, dass Ferhats Mega Gym das ultimative Studio der Stadt sein wird – so jedenfalls sein Plan, als er eine junge Frau Anfang 40 im Bewerbungsgespräch kennenlernt. Etwas schluffi, etwas unambitioniert, aber nicht unsympathisch. Ferhat stellt sie ein. Vor drei Monaten habe sie entbunden, so die kleine Notlüge, die romanprägend wird und ihr schließlich den Job verschafft. Ferhat ist Feminist. Eine Chance für die namenlose Ich-Erzählerin, die sich aufrappelt und einsteigt: im super sporty, super sexy Mega Gym.
„Im Grunde war es ganz simpel: Ein fitter, ein straffer, ein starker Körper war vor allem eins: Arbeit. Je mehr man investierte, desto schneller kam man an sein Ziel, alles was man dazu brauchte waren Disziplin und Willensstärke.“ (S. 48)
So einfach ist es. Ende und aus. Doch weit gefehlt! Denn Sport macht gute Laune und hält gesund. Und Sport kann pushen, Schwung geben. Wie das geht, erzählt Verena Keßler in ihrem aktuellen Roman ‚Gym‘. Sie erzählt davon, wie ihre namenlose Protagonistin beginnt, die Blicke der Gäste wahrzunehmen. Wie sie feststellt, dass die Umsätze ihrer Kolleg:innen höher sind als ihre und das ändern möchte. Wie sie ihr Outfit ändert. Leggins hier, Sporttops da. Nun vor der Schicht noch ein Workout. Und nach der Schicht ein zweites.
Auf 189 Seiten ist die Story schnell erzählt. Eine Lüge als Ausgangspunkt und Katalysator ist das eine. Viel spannender ist die charakterliche Metamorphose der Protagonistin, deren Vorgeschichte immer präsenter wird. In ihrer Zeit vor dem Mega Gym war sie groß im Geschäft. Geld spielte nie eine Rolle. Als sie scheiterte, brannten ihr buchstäblich die Sicherungen durch. Und diesen Weg skizziert Verena Keßler nicht nur nach. Als die Bodybuilderin Vicky das Studio betritt, entstellt die Autorin alles Menschliche zum animalischen Zerrbild.
Vicky entblößt die Fratze der vermeintlichen Mutter, die sich enthemmt, sich wahnhaft in ihrem Training festbeißt. Sich verbeißt wie eine ausgehungerte Hündin. Diese Bilder sind keineswegs fiktiv und die Autorin nimmt stilistisch kein Blatt vor den Mund. Nicht nur durch die inhaltliche Banalität der Dialoge wirkt ihre Sprache stellenweise urkomisch. Sie bildet aber auch eine formale Einheit zum maßlosen Trainingsplan der Protagonistin.
Hier liegt der Hase im Proteinpulver. ‚Gym‘ ist weniger Selbstermächtigung einer Frau auf Bewährung, als thrillerhaftes Psychogramm in drei Sätzen. Nach und nach tilgt der Plott alles schöne, alles sympathische, alles weiche und spitzt sich zu zum abstoßenden Exzess. Wer bis zum Ende dabei bleibt, erfährt im dritten Satz eine, jedenfalls für mich, unerwartete Auflösung.
Als ehrenamtlicher Trainer bei Vorspiel – Queerer Sportverein Berlin bin ich ganz froh, dass es viele wunderbare Orte gibt, abseits glattpolierter Fitnessstudios Sport zu treiben. Gemeinsam eine Stunde für den schönen Bauch und eine weitere für die gute Haltung bringen Spaß und stiften Gemeinschaft.
- Gelesen im September 2025
- So richtig entziehen kann man sich dem Roman gerade nicht. Wahrscheinlich wurde ich auf ihn aufmerksam durch die Besprechung von Thore Rausch in der Süddeutschen Zeitung.