Ein Foto von ihr und dem Katalanen gibt es nicht. Nicht aus jener Zeit und keiner zukünftigen. Sie ist nach A. gereist, lange bevor sie ihren Mann kennenlernte und Kinder bekam. Eingeladen ist sie zu einem kulturellen Retreat, zum Schreibsalon zwei Autostunden nördlich von New York. Irgendwo im nirgendwo diese bauliche Ansammlung amerikanischer Klischees, mit Veranda und viel Holz, umgeben von Wald und Maisplantagen. Als Nachzüglerin, nein, als Profiteurin einer verhinderten Teilnehmerin, wird sie Mitglied der Gruppe.
Das Schreiben und die Arbeit werden zur Randnotiz. Mehr und mehr dreht sich ihn Kosmos um ihn, den sie nur den Katalanen nennt. Eine gravitätische Kraft bestimmt die Anziehung ihrer Körper: leidenschaftlich, aber schnörkellos mit ungleicher Präsenz. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmenden ist der Katalane bereits erfolgreicher Autor. Oder gibt es vor, erfolgreich zu sein. Ein viel beachteter Roman steht auf seiner Liste und prahlerisch spielt er diesen Trumpf oftmals. Abgestoßen und angezogen, sich zu ihm hingezogen fühlen, das sind die Attribute ihrer amerikanischen Wochen.
‚Er sagte mir, dass er anfällig war für Moden. Er schwamm auf einer Welle der Gegenwart. Das missfiel mir. Es missfiel mir, weil es bedeutete: Er kam direkt aus dem Jetzt. Nein, ein Zeitreisender war er ganz und gar nicht. Deshalb war ich von mir selbst überrascht, dass ich eines Abends, als er mir vorschlug, in sein Zimmer zu kommen, ohne zu zögern folgte.“ (S. 8)
Unverfänglich körperlich. Ein Ventil als Leidenschaft in Planken. Eine Affäre mit passgenauem Ende? Die namenlose Ich-Erzählerin blickt in Julia Schochs Roman ‚Wild nach einem wilden Traum‘ zurück in eine Zwischenzeit. Dieses Vakuum füllt sie mit Reflexionen über ihre Kindheit in der mecklenburgischen Kleinstadt E., die sie zurückbindet an eine mögliche Gegenwart unter vielen.
Julia Schoch findet mit diesem überraschend direkten Roman einen bemerkenswert selbstbewussten Abschluss ihrer Trilogie Biografie einer Frau. In der Sache klar und im Ton melancholisch entwickelt die Autorin einen geradezu dialektischen Roman. Sowohl das Figurenarrangement als auch die doppelbödigen Zeit- und Handlungsebenen streben zu auf die Antwort in einem eigenwilligen, still schreienden Selbstfindungsprozess. Aller antipoden Gemeinsamkeit ist die bedingungslose Liebe als stabile Konstante.
‚Wild nach einem wilden Traum‘ ist Julia Schochs bislang bester Roman. Präzise stellt sie Fragen, ohne abzuschweifen, blickt ins Rund, betrachtet das Publikum, holt Luft und atmet aus mit Bedeutsamkeit. Diese stringenten 174 Seiten sind der wache, klare Blick auf ein fiktives Selbstporträt, das mit jedem Heben der Augenbraue oder Zucken des Nasenflügels geradezu philosophische Resonanzräume schafft.
„Vielleicht passiert die Liebe, dieses Gefühl, wenn wir uns zu jemandem hingezogen fühlen, immer nur so: stellvertretend für etwas viel Früheres, Älteres, das uns verloren gegangen ist und das wir zurückerlangen wollen. Alle Liebe ist nur ein Ersatz-Haltegriff, habe ich irgendwo gelesen.“ (S. 41)
- Gelesen im Februar 2025
- Wahrscheinlich wurde ich durch Hubert Winklers Rezension in der Süddeutschen auf diesen Roman aufmerksam.