Achtung, Theater! – ‚RCE. #RemoteCodeExecution‘ am Berliner Ensemble

Eine ferne Zukunft oder das Leben im Hier und Heute? Alle Lebensabläufe und alle Prozesse sind der digital-kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen. Die westliche Zivilisation hat sich einer selbstgewählten Unmündigkeit unterworfen, deren autokratische Wertschöpfungsmechanismen von einer Wirtschaftselite der Superreichen bestimmt wird. Gut getarnt und mit den Mitteln der digitalen Welt entschließen sich fünf Nerds, den Neuanfang zu wagen. Es braucht eine Revolution zu der man tanzen kann!

Sie programmieren Bots, kreieren Apps, entwickeln alternative Messenger zu WhatsApp und Co. Die Gruppe erarbeitet eine Strategie, um den wunden Punkt, das manische Festhalten am seidenen Faden der modernen Zivilisation anzugreifen: Den Glauben an eine imaginäre Sicherheit, wie sie Marketingleute und Wirtschaftsexpert:innen als oberste Maxime des guten Lebens propagieren. Die Fünf starten eine Kampagne zur Unruhe, attackieren die digitale Infrastruktur, stiften Stück für Stück Aufruhr in den paranoiden Gesellschaften des Westens. Bis alle Remote Code Executions zeitgleich ausgeführt werden.

Es braucht eine Revolution zu der man tanzen kann, ist Claim und Auftrag von Kay Voges aktueller Arbeit ‚RCE. #RemoteCodeExecution‘ am Berliner Ensemble. ‚RCE‘ sind 75 Minuten hochverdichtete Anleitung zur Revolte, zum Ausbruch aus eben jener selbstgewählten Unmündigkeit. Die Inszenierung präsentiert sich als moderne Tanzrevue für Digital Natives und die woke Großstadtglitzeria: Ohne Pause und pausenlosem Information Overload. 75 Minuten, die verfliegen und ballern im Stil eines omnipräsenten Konzerts der Band Kraftwerk. Das grandiose Bühnenbild von Daniel Roskamp bietet dem Ensemble raumgreifende LED-Leinwände, deren wabenartiger Kern ihnen als Bühne und zugleich Projektionsfläche dient. Wie von Bots wird der Text im perfekten Cueing gesprochen zur Umlaufschrift, in deren Hintergrund Avatare kommentieren, animieren, propagieren.

Voges hat Sibylle Bergs Romanvorlage zu einem straffen Episodenarrangement verdichtet und wesentliche Hintergrundhandlungen zugunsten der bunt-grell-schillernden RCE-Show minimiert. Mithilfe von Digital Artists und verschiedenen KI-Programmen haben Kay Voges, der Musiker Tommy Finke und die Filmemacherin Andrea Schumacher eine dystopische Welt beschrieben, mit popkulturellen Zitaten garniert und einem auditiv-visuellem Hyperfeuerwerk angereichert.

Entstanden ist ‚RCE. #RemoteCodeExecution‘, mein Theaterhighlight der Berliner Produktionen der Spielzeit 23/24. Mit einem Ensemble als Raumschiffcrew, das spielt, singt, tanzt und diese Arbeit weniger als Negativvision denn mehr zu einem Unterhaltungswunschtraum werden lässt. Inhaltlich zwar manchmal dünn, aber in der Gesamtschau ganz großes Theater.

  • Gesehen am 25. Juni 2024
  • Und hier die Stimme der Nachtkritik.

Eine Antwort auf „Achtung, Theater! – ‚RCE. #RemoteCodeExecution‘ am Berliner Ensemble

  1. Ich fand das Bühnenbild ziemlich gut, das Stück zu erwartbar und es ist leider völlig gescheitert. Es hat zwar versucht eine Botschaft zu senden, doch aber ohne Anspruch.Es ist maximal als Misslungene Erweiterung von GRIME zu ersehen. Das Stück konnte durch das Bühnenbild heischen, das vertupft die Güte des Inhalts. Es ist ein mäßiges Stück und dem BE in der Form nicht wert, wenn auch das Anliegen gut ist. Das Anliegen ist aber alt und von gestern.

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