‚Noto‘ von Adriano Sack

Nach Adrianos kürzlichem Tod sind Oben und Unten vertauscht. Die Institutsleitung hat Konrad freigestellt – solange er möchte – und die Zeit nutzt er zum Ordnen seiner Gedanken, seiner Pläne, seines Lebens. Für Konrad scheint die Gravitation außer Kraft gesetzt. Nur die Fähre nach Palermo geht mit italienischer Pünktlichkeit. Vor wenigen Jahren haben sie sich einen Traum erfüllt, das eigene Haus auf Sizilien etwas abseits am Hang mit alten, großen Olivenbäumen. Sizilien war mehr Adrianos als Konrads Sehnsuchtsort und das Haus eine Albernheit, die sie sich gönnten.

Mit ihrem Domizil auf Sizilien schaffen sich beide ein kleines gemeinsames Paradies, als Konrad eine Stelle in Rom angeboten bekommt. Adriano bleibt in Berlin und lernt Santi kennen, einen bildhübschen Mann mit Potenzial zum Schockverliebtsein. Kurzerhand wird Santi Adrianos Mitbewohner und guter Freund. Und nach Adrianos Tod wiederholt Santi seine Selbsteinladung in bester Absicht. Frei nach Schillers Marquis de Posa wird er ein Freund, der seiner nicht bedarf, der ihn entbehren kann, um Wahrheit für ihn zu haben.

„Man sagt, dass die großen Schauspiele der Natur dem Menschen einen Eindruck von seiner eigenen Nichtigkeit vermitteln. Aber die Botschaft des Ätna ist eine andere: Ich fühle mich zugehörig, als Teil von etwas Erhabenem und Allumfassendem. Als sei der Liebeskummer einer Ameise genauso elementar wie das Knirschen tektonischer Platten.“ (S. 230)

Konrads Trauer, die Beziehungskrise seiner Nachbarn Jenny und Johannes, die Fragen zum Verbleib des Hauses, alles Scharmützel und Nebendarsteller:innen gegenüber der eigentlichen Protagonistin. ‚Noto‘ von Adriano Sack ist vielleicht der queere Sizilien-Roman – vielleicht. Auf 333 Seiten erzählt der Autor mit großer Zuneigung, Unverständnis, gelegentlichen Missbilligung und oftmals verständigem Zwinkern von den Menschen und ihrer Insel. Munter legt er die großen und kleinen Dramen, Lebensfragen und Krisen in kurzweiligen Handlungssträngen zu einem bunten Mosaik, die zugleich kritisches Fragen sind nach dem Ausverkauf der Insel, dem Immobilienboom, dem ausufernden Tourismus, der Sturheit und dem Stolz der Bewohnerschaft und der lähmenden Verantwortungslosigkeit.

Die Liebe zwischen Konrad und Adriano, ihre Beziehung, die im besten Sinne auf festem Boden gründet, wirkt gelegentlich als Sekundant, den der Roman nicht nötig hat. Vielmehr hätte ‚Noto‘ Beschränkung gutgetan. Weniger rich people und deren Sorgen, weniger Ätna-Wein zuzeln und weniger Nebenschauplätze im Allgemeinen, die unnötig verwässern. Gewünscht hätte ich mir mehr Persönlichkeitsentwicklung der wesentlichen Protagonist:innen. Pazienza!

‚Noto‘ ist ein unterhaltsamer Roman für kurze Urlaube und lange Bahnfahrten. Eine nachhallende Hommage an diese Insel mit all ihrer Kakophonie, die mit gelegentlichen Missklängen ihren Weg in die Zukunft sucht. Wenn nur das Ende nicht so vorhersehbar belanglos wäre.

  • Gelesen im April 2024
  • Aufmerksam wurde ich durch die Empfehlung aus dem Newsletter vom Eisenherz. Vielen Dank!

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