‚Rom sehen und nicht sterben‘ von Peter Wawerzinek

Ein Gastbeitrag von Patrick Presch

Peter Wawerzineks „Rom sehen und nicht sterben“ ist ein Roman über die eigene Biografie und die Frage nach Lebenswillen und künstlerischer Identität. Der Autor verbringt als Stipendiat Zeit in Rom, erkundet die Stadt und arbeitet – mehr oder weniger. Die Pandemie, der Verlust wichtiger Manuskripte und eine Krebsdiagnose verändern alles. Wawerzinek will nicht nach Deutschland zurück, kehrt sogar nach der Diagnose für neun Tage nach Rom zurück, um sein Leben dort zu ordnen – für den Fall seines Todes. Darin zeigt sich seine zwiespältige Bindung an die Stadt: Sie hält ihn fest und fasziniert ihn zugleich. Die sprachliche Distanz – er spricht kaum Italienisch – ermöglicht ihm, als Beobachter zu leben, präsent und doch zurückgezogen.

„Erfreue mich an dem Wildwuchs um mich herum. Schreibe täglich. Bringe viel Text zusammen. Lebe auf. Weiß wieder, dass mein Leben aus Schreibarbeit besteht. Ich mich schreibend am Leben halte.“ (S. 41)

Das Schreiben ist für Wawerzinek nicht Reflexion über sein Leben, sondern dessen Bedingung. Er schreibt, um zu überleben. In Deutschland dominieren die Krankenhausaufenthalte und Behandlungen, der Ton wird düster. Erst der Wegzug aus Berlin und eine neue Liebe öffnen wieder Raum für Hoffnung und emotionale Weite.

Die Briefform prägt den Text durchgehend. Wawerzinek adressiert jemanden direkt – wen, bleibt unklar. Diese Offenheit schafft eine eigentümliche Nähe: Man liest einen intimen Text, dessen Empfänger:in man nicht kennt. Dialoge fehlen fast völlig, alles kommt aus Wawerzineks Wahrnehmung. Stilistisch reiht er Beobachtungen und Gedanken dicht aneinander, springt zwischen Themen, lässt Sätze unvollendet. Sein lebt von Wortspielen und rhythmischen Wiederholungen. Diese Struktur wirkt nicht willkürlich, sondern bildet die innere Aufgewühltheit ab.  

„Es klacken die Tasten in berauschender Weise, gar lustig laut, nie traurig leise, klick klack, klick klack. Flink wie die Finger hasten, hauen in die Tasten, formt der Dichter froh wie nie die handgemachte po e sie. (…).“ (S. 172)

Das klingt verspielt, fast albern, ist aber ernst gemeint: Wawerzinek zelebriert das Physische am Schreiben – Finger auf Tasten, Klang, Rhythmus. Sprache ist für ihn Material, nicht Medium.

Rom durchzieht den Text als Ort verschiedener Lebensphasen. Zunächst Arbeitsraum während des Stipendiums, dann durch Krankheit unterbrochen, später Sehnsuchtsort, den er seiner neuen Liebe zeigen will. Doch bei der Rückkehr stellt er fest: Sie sind wieder Touristen. Die verlorene Vertrautheit schmerzt, aber die Faszination bleibt. Rom wird so zum Schauplatz der Frage, ob man zu einem Ort wirklich gehören kann oder ob jede Aneignung vorläufig ist.

„Rom sehen und nicht sterben“ dokumentiert keine Heilung und verspricht keine Erkenntnis. Der Text zeigt auf 220 Seiten vielmehr, wie jemand versucht, sich durch Schreiben einen Halt zu schaffen – gegen Krankheit, Verlust, Entwurzelung. Das macht ihn rau, oft sperrig, aber auch eindringlich und absolut lesenswert.

  • Gelesen im November 2025
  • Mein Dank gilt dem Penguin Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

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