‚Twist‘ von Colum McCann

Den Scheitelpunkt seiner Karriere hat Anthony Fennell bereits vor Jahre überschritten und er weiß es darum. Seine große Hürde? Einen guten Text zu schreiben. Wäre nicht seine Chefredakteurin, die sich erinnert, was er kann, wenn er nur will. Als Journalist soll er nach Kapstadt reisen und einige Wochen, vielleicht Monate auf einem Reparaturschiff für Kabelbrüche auf See verbringen. Er nimmt an, um abzulegen. Die Georges Lecointe ist ein bulliges Schiff, etwas in die Jahre gekommen, aber gepflegt und robust. Wie Fennell – und der Missionskommandant Conway.

Beide lernen sich in einem scheußlichen Hotel aus der Kolonialzeit kennen, wo sie mit Sir angebrochen und sich schnell unsympathisch werden. Conway lädt ihn dennoch zu sich nach Hause ein, einer netten Gegend ohne Gated Communities und mit vergleichsweise geringer Kriminalitätsrate. Fennell will Conway kennenlernen, seine Lebensgefährtin Zanele und die Kinder. Während Fennell das klanglose Ende seiner Karriere bereits vor Augen hat, steht Zanele als junge PoC in ihren Startlöchern. Am nächsten Morgen geht der Flug für die Schauspielerin nach London – für ein Engagement zu Becketts ‚Warten auf Godot‘.

„Ich war süchtig nach dem Anblick der Wellen. Die Stunden vergingen, wie Stunden es tun; sie waren jedoch süßer als alle, die in geraumer Zeit an mir vorbeigezogen waren. Ich spürte, wie der Pulsschlag meines Lebens zurückkehrte.“ (S. 155)

Die Decke der Zivilisation? Hauchdünn. Alle Kommunikation, Daten, Nachrichten? Hängen am seidenen Faden gemessen am Volumen der Meere und Durchmesser der globusumspannenden Datenkabel. Der irische Autor Colum McCann befasst sich in seinem aktuellen Roman ‚Twist‘ mit jener Infrastruktur, die, gemessen an ihrer Relevanz, erstaunlich schutzlos im Sand und Schlick der Ozeane liegt. Mit charakterstarken Eigenbrötlern hat McCann zwei Antagonisten kreiert, die Stoff für mehrere Fortsetzungen böten. Sie fechten nicht nur mit ihren eigenen Gespenstern, sondern streiten um ihre und über die Deutungshoheit von Zaneles aufzubauendem Lebenswerk.

Dieses Potenzial verschenkt der Autor und verzettelt sich im Kabelsalat. Gegliedert in vier Teile inklusive Epilog enden Erzählstränge, ohne eingebettet oder verbunden zu sein. Ob beachsichtig oder Schludrigkeit, McCann verlässt seine Rahmenhandlung unvermittelt und wiederholt diesen Lapsus auf 414 Seiten mehrfach, ohne den Inhalt dadurch formal zu stärken. Das ist sehr schade, denn allein die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Apartheit oder der Reparaturmission im Atlantik sind spannend erzählt und dramaturgisch klug arrangiert.

Vor diesem Hintergrund ist ‚Twist‘ ein Roman, der fesseln kann und von menschlichen Untiefen erzählt, von Stürmen an Land und langem Luftanhalten in der Tiefsee. Der jedoch vergisst, wohin er will. Stilistisch hat Thomas Überhoff mit seiner Übersetzung eine gute B-Note erreicht. Trotz abgeschlossener Mission ist Colum McCann dennoch beinahe auf Grund gelaufen.

  • Gelesen im Juni 2025
  • Aufmerksam wurde ich auf den Roman durch das Interview mit Colum McCann in einer Ausgabe der Süddeutschen Ende März.

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